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#1 "Eine Woche Frieden"

Magdeburg, 19.07.2024  

"Als ich im Februar den Kontakt mit Frau Nataliia Bedich, der Leiterin des Kinder– und Jugendtanztheaters “ARiRA” aus Charkiw, Ukraine aufgenommen habe und mit ihr das erste Mal telefonisch gesprochen habe, konnte niemand ahnen, dass diese fern Begegnung innerhalb von fünf Monaten in eine reale Begegnung in Magdeburg münden würde” - so berichtete die Leiterin der Partnerschaftsaktion Ost (PaOst), des Hilfswerks für Osteuropa im Bistum Magdeburg, Rasa Hinz. 

In den ersten Telefonaten ging es um die aktuelle Lage in Charkiw, um ständige Raketenangriffe, Bombenexplosionen und Alarmsirenen, um andauernde Stromausfälle, um nächtliche Ausgangssperren, um Verunsicherung und Angst von Kindern und Jugendlichen sowie um unglaubliche Lebenskraft der jungen Menschen, die trotz schlimmen Erlebnissen und Erfahrungen versuchen, ihren vom Krieg geprägten Alltag so gut wie es geht zu meistern. 

Bei weiteren Gesprächen erfuhr Hinz, dass die Kinder und Jugendliche des Tanztheaters einen großen Wunsch haben - eine Sehnsucht nach Ruhe und Erholung. Sie wünschen sich wenigstens eine Woche Auszeit vom Krieg, eine Woche Erholung an einem friedlichen und sicheren Ort, an dem keine Raketen einschlagen, an dem keine Alarmsirenen heulen, an dem man keine Angst vor Flugzeugen haben muss… 

Und so entstand aus diesem Wunsch der Kinder in Charkiw das Projekt „Eine Woche Frieden“. Die Partnerschaftsaktion Ost hat einen weiteren Partner, die europäische Jugendbildungsstätte Magdeburg (ejbm), ins Boot geholt. 

Der Geschäftsführer der ejbm, Herr Christian Scharf, hat seine Zusicherung für die Unterbringung und Verpflegung der Kinder und Jugendlichen im Bildungshaus „Villa Böckelmann“ in Ottersleben angeboten. Seine Idee war die Kosten hierfür durch eine Spendensammlung im Internet zu generieren. Mit Hilfe von zwei erfahrenen Internetaktivisten (Niklas und Niklas) wurde das Geld von Spendern aus ganz Deutschland und Litauen gesammelt. Damit wurden zwei Drittel der Gesamtkosten des Projektes gedeckt. 

 

Die Partnerschaftsaktion Ost übernahm die Reisekosten. 

Beide Organisationen fungierten als Träger des Projektes „Eine Woche Frieden“. 

Am 10. Juli war es soweit. 50 Kinder und Jugendliche (zwischen 7 und 18 Jahre alt) mit Begleitung (4 Mütter und Leiterin Nataliia Bedich) bestiegen in Charkiw den Reisebus und machten sich auf den Weg nach Deutschland, nach Magdeburg. 

Hinter ihnen lag ein langer Weg der Reisevorbereitung – Einreichung der Einladung der Partnerschaftsaktion Ost bei den örtlichen Behörden, Besorgung von Ausreisegenehmigungen, Beantragung von Auslandsreisepässen, Zustimmung von Eltern für die Ausreise der Kinder, Einholung und Ausfüllung von Deklarationen an der Grenze und vieles mehr. 

Die Tanzgruppe hat sich auf Einladung der Partnerschaftsaktion Ost auf ein Wagnis eingelassen. Die Kinder und Jugendlichen fuhren ins Ungewisse (sie waren noch nie im Ausland) mit einem Ziel vor Augen, Magdeburg zu erreichen. 

Nach einer beschwerlichen zweitägigen Reise (7 Stunden Wartezeit an der ukrainisch-polnischen Grenze in praller Sonne; die polnische Grenzbeamten haben den kompletten Bus – jeden Koffer der Kinder, die ganze Tanzbekleidung und Tanzutensilien – kontrolliert…) erreichten die Kinder und Jugendlichen aus Charkiw am späteren Nachmittag des 12. Juli die ejbm, Villa Böckelmann in Magdeburg. 

Erschöpf, aber glücklich waren die Kinder und Jugendlichen als sie aus ihrem Bus ausstiegen. Die Leiterin der Partnerschaftsaktion Ost begrüßte die Gäste aus der Ukraine und es wurde gemeinsam zu Abend gegessen. Die Gäste hatten einen großen Hunger mitgebracht. Das Essen schmeckte so gut, dass sie sich unbedingt in der Küche bedanken wollten. 

Nach der Mahlzeit konnten die Neuankömmlinge ihre Zimmer beziehen und die Villa Böckelmann sowie den umliegenden ehemaligen Gutspark erkunden. 

Der nächste Tag begann im großen Saal der Villa Böckelmann mit einer Kennenlernrunde. 

Frau Hinz stellte die PaOst vor und erklärte anhand des Roll-ups das Symbol der PaOst – zwei Hände (jung + alt), die einen kleinen Setzling gemeinsam halten: am Anfang haben wir einen Samen (eine Idee), aus dem später ein Setzling erwächst (ein Projekt entsteht), um den müssen wir uns gemeinsam kümmern, danach kann ein Baum erwachsen, der immer größer und kräftiger wird. (gemeinsam wird ein Projekt verwirklicht). 

Und so ähnlich ist es mit unserem Projekt „Eine Woche Frieden“ geschehen – am Anfang war nur ein Gespräch mit Nataliia Bedich, der Leiterin des Tanztheaters. Es wurde euer Wunsch – eine Woche Auszeit vom Krieg - ausgesprochen. Wir hatten eine Idee. Wir wollten euch helfen. Das Projekt wurde geboren. 

Viele Menschen haben an diesem Projekt mitgewirkt und geholfen, es zu verwirklichen. Es hat geklappt. Ihr alle seid hier in Magdeburg, in Deutschland. Es entstand ein großer und kräftiger Baum, an dem ihr alle beteiligt seid. 

Wir wollen jetzt gemeinsam einen Baum entstehen lassen. Wir können aus Buntpapier verschiedene Teile des Baumes (Wurzel, Stamm, Äste, Blätter) ausschneiden. Jeder macht einen Teil des Baumes fertig und schreibt seinen Vornamen darauf. Wer fertig ist, kann nach vorne zur Tafel kommen, sich vorstellen und seinen Teil des Baumes auf der Tafel kleben. 

Die Kennenlernrunde lief gut. Die Kinder und Jugendlichen waren eifrig beim Bau des Baumes. Am Ende der Vorstellungsrunde entstand ein bunter großer Baum. 

Nach der Kennenlernrunde wurde den Kindern und Jugendlichen weitere Workshops angeboten. Die Gruppe wurde geteilt. 

Die erste Gruppe kam zum Workshop „Yoga / Entspannung“, den die Yogalehrerin Anne Herfurth aus Magdeburg geleitet hat. Als die Kinder den Yogaraum betraten, empfing sie eine ruhige Entspannungsmusik. Die Kinder nahmen Platz auf ausgelegten Yogamatten und lauschten der Musik. Sie kamen zur Ruhe. Die angenehme Stimme der Yogalehrerin lud sie zur Entspannung ein. Es ertönten Klangschalen, die die Yogalehrerin vor Ihrer Yogamatte ausgestellt und bedient hat. 

Der Workshop wurde sehr gut angenommen. Im Anschluss an die Yogastunde berichteten die Kinder und Jugendlichen über ihr positives und angenehmes Erlebnis. Sie haben neue Übungen und Techniken zur Entspannung und Stärkung ihrer inneren Kraft erfahren. Dies wird ihnen für die Zukunft sehr helfen. 

Die zweite Gruppe kam zum Kunst-Workshop, den die Graphikerin und Malerin Ava Basiri leitete. Ihr Kunstprojekt trug den Namen „Wir gehen nicht unter!“. Es ging um Fische! (Symbol des Christentums und der Lebenskraft). 

Die Kunstlehrerin erklärte den Kindern und Jugendlichen, dass Fische richtige Überlebenskünstler sind. Sie müssen manchmal gegen den Strom schwimmen. Ab und zu schwimmen sie mit dem Strom. Manchmal müssen sie sich verstecken. Aber sie gehen nie unter! 

Es ist eine ähnliche Situation, wie bei euch. Es geht euch nicht immer gut. Manchmal müsst ihr euch verstecken, euch schützen, wenn ihr einen Schutzraum aufsucht. Manche Tage sind ruhiger. Ihr könnt gemeinsam etwas erleben – zur Tanzschule gehen und tanzen. Ihr seid, wie diese Fische (Basiri zeigt ein Bild mit Fischen), ihr seid Überlebenskünstler. Ihr geht nicht unter! 

Wir wollen gemeinsam nach dem Vorbild des von ihr gezeigten Bildes Fische malen. Ihr könnt eure eigenen Fische malen. Lasst eure Phantasie spielen! 

 

Viele Kinder und Jugendliche waren bei diesem Kunstprojekt dabei. Im Laufe des Tages entstanden über 40 kunstvolle Bilder. Die Kunstlehrerin Basiri war von der Kreativität und dem Ideenreichtum der Kinder begeistert. Sie sind richtige Überlebenskünstler!!! 

 

Am Sonntag, den 14. Juli, begeisterte das Kinder- und Jugendtanztheater mit ihrem Auftritt die zahlreich erschienenen Zuschauer im Saal des Gemeindehauses der Pfarrei St. Marien in der Rottersdorfer Str. in Magdeburg. Die Kinder und Jugendlichen führten mehrere Tänze auf – mal ganz modern mit akrobatischen Einlagen oder fröhliche Stücke ukrainischer Folklore. Die Professionalität und schauspielerisches Können der Kinder berühren und begeisterten die Zuschauer. Der Auftritt endete mit Standing Ovations. 

Die Leiterin des Tanztheaters „ARiRA“ berichtete, dass die Kinder im letzten Jahr wenige Auftritte hatten. Aufgrund der schweren Lage in Charkiw (ständige Raketenangriffe und Alarme) konnten sie es nicht realisieren. Auftritte sind sehr wichtig, weil die Kinder sehr fleißig üben und Ihr Können präsentieren möchten. 

 

Am Montag ging es mit der ganzen Gruppe in die Stadt, ins Zentrum von Magdeburg. Die evangelische Domgemeinde hat zwei kostenlose Domführungen angeboten. In zwei Gruppen haben Kinder und Jugendlichen aus Charkiw die Geschichte des Magdeburger Domes und der Stadt kennengelernt. Im Anschluss an die Führungen konnten die Kinder die ausgestellten Glocken ausprobieren. 

Das Mittagessen haben wir im Roncalli-Haus erhalten. Wieder waren alle vom guten Essen begeistert. 

Um 14 Uhr hat der Organist der St. Sebastian-Kathedrale, Herr Mück, uns zu einem kurzen Orgelkonzert eingeladen. 

 

Am Dienstag gab es ein Ausflug in den Elbauenpark. Sie konnten die Sommerrodelbahn ausprobieren. Sie haben die Geschichte der Menschheit im Jahrtausendturm entdeckt und einige Experimente selbst durchgeführt. Wir haben zusammen Picknick gemacht. 

 

Der krönende Abschluss des Tages war der Besuch im Schwimmbad „Nemo“. Die Kinder waren davon total begeistert. Sie haben das Schwimmen und die Erholung im Bad sehr genossen. In Charkiw ist es aufgrund der Raketeneinschläge verboten, Gewässer (weder Seen oder Flüsse) zu betreten. Die Schwimmbäder sind entweder zerstört oder wegen Energiemangel nicht in Betrieb. 

 

Am Mittwoch war einfach nur Freizeit und Erholung angesagt. Am Abend wurde eine Nachtwanderung unternommen. Einfach nur in einer warmen Sommernachtdraußen spazieren gehen. Das ist in Charkiw unmöglich. Seit mehr als 2 Jahren ist nachts, zwischen 22 Uhr und 5 Uhr morgens Ausgangssperre! 

 

Der Donnerstag war für die Reflexion der Reise vorgesehen. Die Kinder und Jugendlichen haben über ihre Erfahrungen und Erlebnisse in dieser Woche in Magdeburg berichtetet. 

Manche freuten sich jeden Morgen über das Vogelgezwitscher. In Charkiw gibt es keine Vögel mehr. Das tollste war die Ruhe und der Frieden. 

Das zweitbeste war das gute Essen. Einige sagten, dass sie jetzt keine Angst mehr vor Flugzeugen haben. 

Sie erzählten über ihre positiven Erlebnisse. Sie würden sehr gern nochmals nach Magdeburg kommen. 

Am Nachmittag gab es einen Workshop „Do-it-yourself T-Shirt-Printing. Die Kinder konnten ihre eigenen T-Shirts gestalten und bedrucken. Zum Nachmittag trugen viele Kinder ihre selbstgestalteten T-Shirts „Eine Woche Frieden“. 

 

Der Abschied am Freitag war schmerzhaft für alle. Die Koffer waren gepackt. Der Bus war für die Rückreise vorbereitet. 

Nach dem Frühstück versammelten sich alle am Bus. Es war eine wunderbare Woche. Es wird hoffentlich eine Wiederholung geben. Als das ausgesprochen war gab es eine große Freude. Alle umarmten sich. Viele weinten vor Freude. 

 

Mit dieser positiven Perspektive verabschiedeten wir die Kinder und Jugendlichen sowie Mütter und die Leiterin Natalia Bedich und wünschten ihnen eine gute Rückreise.